Kirche und Sex.
Die katholische Kirche war nicht immer sex- und lustfeindlich. Es gab Päpste mit Mätressen, es gab verheiratete Päpste. es gab Päpste mit etlichen Kindern, es gab Päpste mit homosexuellen Sekretären und es gab natürlich päpstliche Gelage und ausschweifende Feste. In der Zeit, die als Pornokratie (>Wikipedia) bezeichnet wird, dominierten solche adeligen Huren Politik und Kirche.
Angesichts der hohen Anzahl von Prostituierten wurde aus der Redensart von Rom als „Haupt der Welt“, Roma caput mundi, ein spöttisches Roma cauda mundi – „Rom, Schwanz der Welt“.
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Das ist lange vorbei und spielt sich heute allenfalls in Hinterzimmern von Castel Gandolfo. Pfarrhäusern oder Sakristeiecken ab. Aber es spielt sich ab, wie wir alle wissen.
Um so erstaunlicher ist es, dass in unserer Zeit die katholische Kirche bis heute an den Grundsätzen der päpstlichen „Humanae vitae“, den radikalen Vorschriften der „Kongregation für Glaubensfragen“ und den in Hirtenbriefen veröffentlichten Forderungen der Deutschen Bischofskonferenz festhält. Sind da Hirten für blöde Schafe tätig? Folgt irgendein Schaf diesen Hirten in unserer sexuell frustrierten aber freien Zeit? Wir haben Swinger-Partys, Porno-Shops, One.Night-Stands, Dildos und vibrierende Sexdolls, Steuergesetze für Prostituierte, Empfängnisverhütung mit Pillen und Kondomen usw. usw.. Natürlich sind die Konsumenten auch Katholiken. Und bei den Moralhütern bewegt sich nichts.
In der immer noch gültigen, gesetzgebenden Synode von 1976 heißt es:
„ Die Aufnahme voller, sexueller Beziehungen vor der Ehe…wird abgelehnt“: (3.1.3.1)
„Die Entscheidung über die Zahl der Kinder und den Zeitabstand der Geburten darf nicht von egoistischen Motiven geprägt sein.“ (2.2.2.2, Seite 435)
Was die Kirchenhirten darunter verstehen, formulierte Kurienkardinal Alfredo Ottaviani deutlicher:
„Ich stimme nicht zu, wenn Ehepaare die Zahl ihrer Kinder selbst bestimmen sollen! Wo hat man so etwas je gehört, von Anbeginn bis in unsere Zeit!“
Alles, was außerhalb der christlichen Ehe und den damit verbundenen Gesetzen der Fortpflanzung stattfand, war und ist Sünde und verboten. Selbstbefriedigung? Verbotene Todsünde! Petting? Verbotene Todsünde! Ehebruch? Verbotene Todsünde! Homosexualität? Verbotene Todsünde! usw. usw..
Als „Humanae vitae“ 1968 veröffentlicht wurde, gab es zwar Entrüstung und Proteste. Aber die Wortführer der politischen und sexuellen Revolution hatten keine Lust, sich mit Blödsinn zu beschäftigen. Einige Künstler taten es.
Zeichnung von Günter Brus |
Papst-Bild-Skandal in Düsseldorf
Bei mir rumorte es, als es am 30.4.1973 einen Hirtenbrief der katholischen Deutschen Bischofskonferenz zu „Sinn und Gestaltung menschlicher Sexualität“ gab und Anfang 1976 ein kräftiger Nachschlag kam: Heilige Kongregation für die Glaubensfragen, PERSONA HUMANA, 29.Dezember 1975. Alles kalter Kaffee? Unsinn, alles gilt heute noch. Wer will, kann sich informieren:
In der Presse stand wenig, man winkte ab und erklärte das Thema für uninteressant. und unwichtig.
Da die katholische Kirche in eigenen Kindergärten, Schulen, Lehrstätten, Krankenhäusern usw. ihre Ansichten verkündet und massiv auf Verbreitung und Einhalten von Vorschriften achtet und auch eine Macht bis in die Stadt-, Landes-., und Bundespolitik besitzt, fand ich das alles nicht uninteressant und unwichtig.
Das Triptychon
Wie alle Düsseldorfer Künstler war ich eingeladen, in einer völlig juryfreien Ausstellung eine Arbeit zu zeigen. Die Ausstellung „Nachbarschaft“ fand unter der Direktion von Jürgen Harten in der Düsseldorfer Kunsthalle statt. Eröffnung war am 21. Mai 1976. Die Ausstellung sollte wegen des erwarteten geringen Interesses nur 10 Tage dauern.
Ich wollte auf einer großen dreiteiligen Arbeit die Äußerungen zur Sexualethik von Papst Paul VI, von Prof. Dr. Volkmar Sigusch, einem der bekanntesten Sexualwissenschaftler Deutschlands und von mir selbst ausstellen. Die Texte sollten um ein relativ kleines Autoren-Portrait herum geschrieben werden. Um den mittleren Bereich des Papsttextes sollte Stacheldraht gespannt werden mit warnenden Aufschriften „Sperrzone, Kritik verboten.“
Da es sich um Texte zum Thema „LEBEN“ handelte, durfte mit Symbolen des Lebens (Eiern) über die Texte abgestimmt werden. Große Handzettel mit den Beschreibungen meiner Absichten und mit Infos zu den Vorschriften der Kirche sollten für die Besucher ausgelegt werden.
Vorsicht!
Es gab in Düsseldorf einen Kulturausschuss von Stadtpolitikern und einen Kunstbeirat von Politikern, Künstlern und im Kunstbetrieb arbeitenden Bürgern. Da ich die Gemüter aller und auch die zum Teil sehr konservativen Medien kannte, war ich vorsichtig und legte meine Pläne vor. Es gab keine Ablehnung und alles wurde abgewunken. Wegen des zu erwartenden Eierdrecks sollte ich die Aktion draussen auf dem Vorplatz der Kunsthalle machen.
„Nachbarschaft“, 21. Mai 1976 Kunsthalle Düsseldorf
Das Triptychon wurde gebaut, mit Leinwand bezogen und bemalt. Am Abend des 21. Mai 1976 war der Andrang vor der Kunsthalle groß, wie bei jeder Eröffnung.
Publikum auf dem Vorplatz der Kunsthalle am 21.5.1976 vor meinem Triptychon |
Nachdem Kinder und Jugendliche begannen, mit viel Spaß die Eier überall hin zu werfen, ergriff ich das Mikro für die Eröffnungsredner und erklärte den Besuchern, sie sollen zuerst die Texte lesen und dann BITTE sehr bewusst abstimmen. Diese Erklärungen zum Leben seien keine Klamauk-Angelegenheit. (darüber gibt es in den Archiven einen WDR-Film). Danach lief alles ruhig ab. Fast alle Eier flogen auf den Papst-Text.
Triptychon, links Text Sigusch, Mitte Text Paul VI, rechts Text Spies |
Ich besichtigte zusammen mit Kollegen die Ausstellung „Nachbarschaft“ und war von einigen Arbeiten so beeindruckt, dass ich sie haben wollte. Das musste in den nächsten Tagen geklärt werden. Tatsächlich klappten die Gespräche noch am gleichen Abend in der Ausstellung und ich tauschte z.B. ein Linien-Bild von mir gegen das fantastische Torso-Foto von Bernd Jansen.
Foto von Bernd Jansen: TORSO |
Begeistert ging ich zum Essen in die Kneipe „Zur Uel“ von Gudrun und Dizzi Fischer.
aktuelles Internet-Foto der "Uel" |
Während ich das leckere Essen futterte und ein Alt trank, betraten zwei grün Uniformierte der Altstadtwache den Raum, sprachen mit der Bedienung und kamen zu mir. „Sind Sie Herr Spies? Kommen Sie bitte mit zur Vernehmung!“ Ich sagte den Beamten „Okay, ich esse zu Ende.“ „Stehen Sie auf und kommen Sie sofort mit,“ war die Antwort. Ich stand auf und brüllte so laut, dass es alle im Raum, in dem es still geworden war, hören konnten. „Ich bin Diabetiker und habe Insulin gespritzt. Wenn sie mich nicht zu Ende essen lassen, ist das Körperverletzung.“ Der Fall und die Bratkartoffeln waren damit gegessen.
Abgeführt und angezeigt
Auf der Wache hörte ich, dass eine Anzeige gegen mich vorliegt wegen „Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes“( StGB §103) Wer angezeigt hatte und weitere Details wurden nicht mitgeteilt. Also teilte ich nur meine Personalien mit, verabschiedete mich von den beiden Polizisten mit dem Hinweis, sich mal bei einer Schulung zu informieren über Krankheiten wie Diabetes, Epilepsie oder Anderes, das ihnen bei ihrer Arbeit begegnen kann und nicht sofort als Krankheit erkennbar ist.
Papst Paul VI, auch "Pillen-Paul" genannt, Anlass für meine Aktion |
Mit zwei Freunden ging ich zurück zur Kunsthalle. Wir unterhielten uns über die Vorfälle auf und zwei Besucher rückten näher und hörten zu. Gegen 21.30 Uhr sagte ich, wir sollten jetzt das Triptychon nach innen tragen und draußen etwas sauber machen. Als wir zu den Leinwänden gingen, kamen die zwei „Besucher“ hinter uns her und sagten „Lassen Sie das!“. Sie wiesen sich als Kripobeamte aus und erklärten, die Papst-Leinwand sei beschlagnahmt. Tatsächlich wurde sie wenig später auf einen LKW geladen. Über den ganzen Aufwand war ich ein wenig verängstigt.
Bei der Eröffnung der "Nachbarschaft" wurde die Pappst-Leinwand beschlagnahmt. Initiatoren waren die CDU-Ratsherren Henrich und Schenk. |
Am darauf folgenden Tag, Samstag, erschien die EXPRESS mit dem Titel in riesigen Lettern: „Faule Eier auf Papst-Bild.“ Auch die anderen Zeitungen stürzten sich auf dieses Detail und schrieben keine Silbe über den eigentlichen Grund meiner Aktion: Den Text des Papstes zur „Sexualethik“.
(Zwischenbemerkung: Diese verfluchte, elende und im negativen Sinn populistische Praxis ist heute noch viel mehr zu beobachten als 1976 (postfaktisch). Kürzlich sagte der Medienwissenschaftler Prof. Norbert Bolz in einer Sendung von Peter Hahne, „Lügenpresse ist eine Verkürzung. Es ist alles noch viel schlimmer. Die Medien verschweigen.“ Das ist ein Verbrechen gegenüber der Öffentlichkeit, zu deren Information die Medien angetreten sind. Sie unterstützen damit heute sehr viel mehr als früher die Frustration und die Unsicherheit in der Bevölkerung. Sie sind zusammen mit den Politikern schuld am Rechtsruck. Siehe auch unten >Presse))
Am Montag fand ich einen Anwalt, bekam Akteneinsicht, musste eine Aussage bei der politischen Kriminalpolizei (K14) machen und wurde über Einzelheiten informiert.
Der Ablauf war so: Zur Eröffnung von „Nachbarschaft“ waren auch zwei öffentlichkeitsgeile CDU-Ratsherren gekommen: Michael Henrich, Georg Schenk. Der Kommunalwahlkampf stand bevor und es galt, sich überall zu zeigen. Angesichts meines Bildes sahen sie eine Publicity-Chance. Sie protestierten. Kunsthallen-Direktor Harten war zu einer Zensur nicht bereit. Also alarmierten sie den Staatsanwalt in seiner Wohnung. Der fand sich nicht ausreichend zuständig und rief privat den Oberstaatsanwalt Böhmer in Düsseldorf an. Der reagierte als CDU-Mitglied solidarisch und stimmte einer Anzeige und einem Polizeieinsatz zu. Das erfuhr ich später aus der Presse.“Es gab einen 60-Mann-Polizeieinsatz gegen das Bild von Spies. Die Altstadt war grün. Besucher dachten, die Stockholm-Terroristen seien ausgebrochen“. Über den ganzen Aufwand war ich ein wenig amüsiert (s.o.).
Ein Oberstaatsanwalt tritt daneben
Der juristische Profi Oberstaatsanwalt Böhmer kannte den §103 StGB:
„Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt …beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe…bestraft.“ Sein Wissen war beschränkt.
Der juristische Laie Spies kannte auch den §104 StGB:
„Straftaten nach diesem Abschnitt werden nur verfolgt, ….wenn ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt.“
Das teile ich auch meinem Anwalt mit. Wir waren etwas erleichtert und warteten auf eine Anzeige des päpstlichen Nuntius´ in Bonn. Es kam nichts.
Presse verschweigt und hetzt
Inzwischen überschlug sich die regionale Presse mit Veröffentlichungen immer neuer Schlagzeilen. Bei einer Pressekonferenz in der Kanzlei meines Anwalts sagte ich dem Lokalchef der Rheinischen Post, Herbert Slevogt: „Interessiert ihre Leser gar nicht, aus welchem Grund ich alles gemacht habe? Interessieren keinen die aufgemalten Texte des Papstes zur Sexualethik? Wenn Prof. Volkmar Sigusch sagt, „Die Repressionen der katholischen Kirche sind mit verantwortlich für Sexualverbrechen bis hin zu Morden“ interessiert das nicht? Warum schreiben Sie nicht darüber?“ Der Herr Slevogt antwortete: „Herr Spies, was unsere Leser interessierst und was wir schreiben, können Sie morgen lesen.“Am liebsten hätte ich ihn angespuckt und gesagt:“Sie sind ein mieser Vertreter einer Lügenpresse.“ Aber das Wort kannte damals noch niemand.
In den Zeitungen gab es zum „Papst-Bild-Skandal“ ganze Leserbriefseiten. Das war neu. Zwei Museumsdirektoren (beide schon gestorben) sagten mir erstaunt: „Noch nie in der Geschichte Düsseldorfs gab es einen größeren Kunst-Skandal.“
Kolleginnen und Kollegen
Anfangs gab es eine große Solidarität bei den Düsseldorfer Kolleginnen und Kollegen. Als die Rheinische Post sich einen neuen Dreckhaufen suchte, mit dem sie nach mir werfen konnte, suggerierten sie den Kolleginnen und Kollegen der „Nachbarschaft“: „Der Spies sahnt das ganze Interesse ab. Keiner interessiert sich mehr für euch. Seid ihr da nicht sauer?“ Ich merkte sofort, wie die Stimmung drehte. In der „Uel“ trank und redete man nicht mehr mit mir. Aber es gab einige, die unbeirrt auf meiner Seite blieben, wie z.B. Wolfgang Kliege und Peter Royen sen..
Dabei war diese journalistische Jauche eine Lüge. In einem Interview sagte Direktor Jürgen Harten: „Wir haben in den 10 Tagen mit etwa 1000 Besuchern gerechnet. Man kann von der Spies-Aktion halten, was man will. Aber jetzt ist sein Bild lange weg. Trotzdem sind über 20.000 Besucher gekommen. Das war schön für alle Beteiligten und für uns auch.“
Dabei war diese journalistische Jauche eine Lüge. In einem Interview sagte Direktor Jürgen Harten: „Wir haben in den 10 Tagen mit etwa 1000 Besuchern gerechnet. Man kann von der Spies-Aktion halten, was man will. Aber jetzt ist sein Bild lange weg. Trotzdem sind über 20.000 Besucher gekommen. Das war schön für alle Beteiligten und für uns auch.“
Danach gab es nie wieder eine juryfreie Ausstellung in Düsseldorf.
Politiker
Die Haltung der CDU kannte ich.
Die Vertreterin der FDP im Kulturausschuss war liberal. Sie erklärte zwar meine Aktion für „geschmacklos", war aber gegen jede Zensur und gegen gerichtliche Aktivitäten.
Bei der SPD fragte ich, ob sie sich nicht äußern wolle. Die SPD ist doch die Partei der „Freiheit des Geistes“. Gibt es ein bisschen Solidarität mit dem Genossen Spies? Der Geschäftsführer der SPD-Ratsfraktion, Karl Kanz, sagte mir. „Manfred, da können mer uns jetz nit einmische. Mer ham bald Kommunalwahlkampf. Dat wär´nit jut für die Partei.“
SPD-Selbstliebe (Zeichnung C. Nöckel) |
Der Staatsanwalt tritt massiv daneben
Nachdem der Oberstaatsanwalt von meinem Rechtsanwalt „erleuchtet“ worden war. schrieb er an den Nuntius in Bonn, ob dieser denn keine Anzeige erstatten wolle. Das ist keinesfalls Aufgabe eines Staatsanwalts. Er muss bei Anzeigen ermitteln und nicht zu Anzeigen animieren. Ich forderte von meinem Anwalt sofort eine Dienstaufsichtsbeschwerde. Das lehnte mein Anwalt ab. „Ich habe schon genug Probleme mit dir. Ich möchte in Zukunft bei Gericht auch ein paar Freunde behalten und noch Prozesse gewinnen.“
Ja, ich habe viele Leute gut kennen gelernt in dieser Zeit und es wirkt nach bis heute. Denn es hat sich nichts verbessert. Im Gegenteil.
Die Anzeige gegen mich wurde zurück gezogen. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Die Leute von K14 riefen mich an und sagten, ich könne das beschlagnahmte Bild abholen. Ich brüllte ins Telefon, „Das bringen Sie mir. Ich habe keinen LKW und ich bin nicht verantwortlich für den Polizeieinsatz.“ Sie brachten das Bild zurück. Jetzt lagert es mit meiner ganzen kreativen Arbeit und mit allen Dokumenten in einem Depot des Stadtmuseums. Da sind auch die Prozessakten meiner 15 anderen juristischen Erfahrungen. (Alle positiv verlaufen). Aber deshalb konnte ich diesen Artikel nur aus dem Gedächtnis und aufgrund alter Fotos schreiben. Für Namensfehler bitte ich um Nachsicht.
Düsseldorf-Szene 70er und 80er.
In Düsseldorf wird am 7. Juli in der Kunsthalle die Ausstellung „Singular-Plural, die Düsseldorfer Kunstszene der 70er und 80er Jahre“ eröffnet. Darin komme ich nicht vor. Aber ich gehe lachend hin.
Manfred Spies, 21. Mai 2017
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