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„Bastardvölkchen“

Ein „Bastardvölkchen“ wurde vernichtet.
"Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst mit Grausamkeit auszuüben, war und ist meine Politik…Ich vernichte die aufständischen Stämme in Strömen von Blut und Strömen von Geld. Nur auf dieser Aussaat kann etwas Neues entstehen.“
(Generalleutnant Lothar von Trotha, Oberbefehlshaber in Deutsch-Südwest-Afrika)

Generalleutnant Lothar von Trotha
Trotha in der Mitte mit seinem Stab in Deutsch-Südwestafrika


Die Folge war der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts, der Genozid an den Herero in Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia.
überlebende Herero 
Nach anfänglichen, erfolgreichen Kämpfen der Einheimischen wurden die Deutschen massiv verstärkt und übermächtig. Die Aufständischen wurden massenhaft erschossen und flohen während der Trockenzeit in die Wüste (Sandfeld).


Bericht eines deutschen Soldaten an den Generalstab, der bereits am 15. November 1905 in einer deutschen Tageszeitung erschienen war:
„Die mit eiserner Strenge monatelang durchgeführte Absperrung des Sandfeldes vollendete das Werk der Vernichtung…Das Drama spielte sich auf der dunklen Bühne des Sandfeldes ab. Aber als die Regenzeit kam, als sich die Bühne allmählich erhellte und unsere Patrouillen bis zur Grenze des Betschuanalandes vorstießen, da enthüllte sich ihrem Auge das grauenvolle Bild verdursteter Heereszüge…Das Röcheln der Sterbenden und das Wutgeschrei des Wahnsinnes - sie verhallten in der erhabenen Stille der Unendlichkeit!“

Generalstab: „Bei Beginn der Regenzeit im März 1905 folgte Oberleutnant Graf Schweinitz einem "Fußpfad", der durch die Omaheke führte und den offenbar große Scharen flüchtender Herero genommen hatten". Dort fand er "immer zahlreichere und größere Stellen, wo Leichenreste, Männer, Frauen und Kinder zu Hunderten zusammenlagen. Der Weg war besät mit  Menschenschädeln und Gerippen….Wie ein halb zu Tode gehetztes Wild war (der Gegner) von (ausgetrockneter) Wasserstelle zu Wasserstelle gescheucht, bis er schließlich willenlos ein Opfer der Natur des eigenen Landes wurde. Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: Die Vernichtung des Hererovolkes.“

Warum war es zu Aufständen der einheimischen Bevölkerung gekommen? 
Das zu erörtern ist hier nicht der Platz und ich empfehle Fachliteratur und das Internet. Nur so viel: Wo sich deutsche Siedler als Herrenmenschen aufführten, die Einheimischen als „Bastarde“ und „Kaffer“ verachteten, misshandelten, auspeitschten, Frauen vergewaltigten, versklavten, Land wegnahmen und bestialisch mordeten, waren irgendwann Widerstand und Gewalt die Folge. 





Die Regierung des Kaiserreichs reagierte. 
Am 2. Oktober 1904 gab von Trotha seinen VERNICHTUNGSBEFEHL bekannt (Auszug):
„Das Volk der Herero muss das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem Groot Rohr dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück, oder lasse auf sie schießen. Das sind meine Worte an das Volk der Herero. Der große General des mächtigen Deutschen Kaisers“.

Die Kriegsführung Trothas zielte auf die vollständige Vernichtung der Herero ab („Ich glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muß“); sein Vorgehen gilt in der Wissenschaft als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts. Trotha wurde darin vom Chef des Generalsstabs Alfred Graf von Schlieffen („Der entbrannte Rassenkampf ist nur durch die Vernichtung einer Partei abzuschließen“) und von Kaiser Wilhelm II unterstützt.
Kaiser Wilhelm II, ein Beführworter von Vernichtungskriegen und später glühender Verehrer Hitlers


Am 4. Oktober schrieb Lothar von Trotha an den Chef des Generalstabes der Armee: „Ich habe gestern, vor meinem Abmarsch, die in den letzten Tagen ergriffenen Orlog-Leute (Herero) kriegsgerichtlich verurteilt, aufhängen lassen, und habe alle zugelaufenen Weiber und Kinder wieder in das Sandfeld unter Mitgabe der in Othiherero abgefassten Proklamation an das Volk zurückgejagt. Die Aufnahme der Weiber und Kinder, die beide zum größten Teil krank sind, wäre eine eminente Gefahr für die Truppe, sie jedoch zu verpflegen eine Unmöglichkeit. Deshalb halte ich es für richtiger, daß die Nation in sich untergeht, und nicht noch unsere Soldaten infiziert und an Wasser und Nahrungsmitteln beeinträchtigt. Außerdem würde irgendeine Milde von meiner Seite von seiten der Herero nur als Schwäche aufgefaßt werden. Sie müssen jetzt im Sandfeld untergehen oder über die Betschuanagrenze zu gehen trachten. Dieser Aufstand ist und bleibt der Anfang eines Rassenkampfes, den ich schon 1897 in meinem Bericht an den Reichskanzler für Ostafrika vorausgesagt habe.“
Gefangene Herero, ab in Sammellage
Nachdem etwa 75% des Herero-Volkes getötet war, kamen die Überlebenden in Sammellager auf einer Insel. Die Bezeichnung „Konzentrationslager“ wurde damals schon benutzt. Kranke wurden „erlöst“, Gesunde mussten Zwangsarbeit verrichten. Nur die Hälfte überlebte. Die Gebeine und Schädel wurden zu Forschungszwecken nach Deutschland gebracht. Dort hatte - wie in den USA - die Rassenhygiene (euphemistisch Eugnik) Hochkonjunktur. Frauen der Ermordeten mussten - so steht es im Untertitel eines Archivfotos - die Schädel mit Glasscherben "vom Fleisch befreien und versandfertig" machen, damit in Deutschland Rassenideologen wie Eugen Fischer das "Bastardvölkchen" erforschen konnten.
Rassenhygieniker Eugen Fischer 1934 in der Bremer Universität
Heute, nach mehr als 100 Jahren, wurde zögernd den immer wiederholten Bitten der Herero-Nachkommen teilweise gefolgt und ihnen einige Schädel zurück gegeben. Solange aber in der Berliner Charité noch Hunderte nicht identifizierter Schädel liegen, und solange ein Archivar der Universität Freiburg, die über eine eigene schlecht erforschte Schädelsammlung verfügt, diese nicht zurück gibt und als "ein Kulturgut" bezeichnet, kann man tatsächlich kaum von einem guten Willen der deutschen Seite, von Reue, von einem ehrlichen Dialog und schon gar nicht von Wieder-gut-Machung sprechen.

********************
Ich begann meine Recherchen zu diesem Thema, als ich in Düsseldorf 1982 am Frankenplatz ein Restaurant eröffnete und bei Spaziergängen ein „Denkmal für den „heroischen Einsatz“ des 39. Füsilierregiments in Südwestafrika entdeckte. unter dem Bild eines schlappen Kriegers mit dem Gewehr im Arm stand: 

„DEM GEDENKEN DEUTSCHER KOLONIALHELDEN KOLONIALKRIEGERVEREIN DÜSSSELDORF
ERRICHTET VOM FÜSILIERREGIMENT 39
ERRICHTET SEINEN IN SÜDWESTAFRIKA GEFALLENEN KAMERADEN 1904 - 1907“ 

Mein kreativer Hauptberuf und meine gastronomische Neubeschäftigung nahmen mich so sehr in Anspruch, dass ich diese Begegnung der reaktionären, kolonialistischen Art vergaß. Als ich zum 100jährigen Erinnern an die Schlacht am Waterberg durch die Medien zum Denken aufgefordert wurde und zum immer noch dort stehenden „Denkmal“ ging, schrieb ich am 12.8.2004 einen Brief an den Düsseldorfer OB.
Die Stadtverwaltung in Düsseldorf reagierte schnell. Es wurde in vernünftiger Größe eine Info-Tafel aufgestellt.

Und am gleichen Tag sprach reiste Frau Ministerin Wieczorek-Zeul (SPD, Entwicklungshilfe) nach Namibia und entschuldigte sich. „Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde…“ 
Es gab Irritationen in der Bundesregierung und die Rede der Ministerin wurde als „persönliche Meinung“ eingestuft. Wie zu erwarten war.
Warum Irritationen?
Immer wird von Regierung darum gestritten, ob man Massenmorde bezeichnet als Verbrechen, Schandtat, Greueltat, Massaker, Völkermord, Genozid. Erfolgt eine solche Anerkennung, ergeben sich für die Täter bzw. Täterstaaten immer auch rechtliche Konsequenzen: Sie können vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden oder müssen Entschädigungen an die Opfer zahlen. (UN-Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, 1948)
Die Deutsche Bundesregierung vermeidet aus Gründen möglicher Entschädigungen außer beim Holocaust den Begriff „Völkermord“ offiziell bis heute panisch und hysterisch.

Interessant und wichtig:  
Am 9. Juli 2015 bezeichnete der Präsident des deutschen Bundestages Norbert Lammert die Kolonialverbrechen in einem Zeitungsbeitrag als Völkermord. Wer vom Genozid an den Armeniern 1915 im Osmanischen Reich spreche, der müsse auch die Verbrechen des deutschen Militärs gegen die einheimische Bevölkerung im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika so bezeichnen. Lammert machte aber zugleich deutlich, dass dies keine offizielle Erklärung im Namen der deutschen Regierung sei. Wie zu erwarten war.

Am 10. Juli 2015 erklärte auch das Auswärtige Amt, der Satz „Der Vernichtungskrieg in Namibia von 1904 bis 1908 war ein Kriegsverbrechen und Völkermord.“ sei die künftige politische Leitlinie der deutschen Bundesregierung. Eine diesbezügliche gemeinsame Erklärung mit der Regierung von Namibia, der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, sei in Vorbereitung. Bei den diplomatischen Verhandlungen wurde aber betont, dass Reparationszahlungen ausgeschlossen sind. Wie zu erwarten war.

Von solchen Gesprächen und Vereinbarungen wurden bisher die Vertreter der Herero und Nama IMMER ausgeschlossen. Sie übergaben Bitten, Briefe und Resolutionen und besuchten den Bundespräsidenten, wurden aber von ihm nicht empfangen.
Die Überlebenden und ihre Folgegenerationen wollen keine von Deutschland finanzierten Denkmäler, keine Mahnmale, keine Gedenkstätten, keinen imaginären Zukunftsfond und keine Entwicklungsgelder in die Taschen der namibischen Regierung. Sie wollen eine offizielle Anerkennung des Genozids und eine Entschädigung. Eine Wieder-gut-Machung gibt es sowieso nicht. 

Tricks der Deutschen: 
Um sich nicht ins moralischen Abseits und angesichts der Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern in Widersprüche zu begeben, machte die Deutsche Regierung Zugeständnisse mit der Anerkennung des Genozids. Aber jetzt zog sie einen angeblichen Joker und erklärte: „Die UN-Völkermordkonvention ist nicht rückwirkend anwendbar…. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass sich aus dieser historisch-politischen Verwendung des Begriffes Völkermord keine Rechtsfolgen ergeben.“ Die Konvention wurde 1948 verabschiedet. Der Genozid an den Herero und Nama geschah früher.

Kann man sich die zunehmende Wut der Überlebenden des Völkermordes vorstellen? Sie erhielten inzwischen von ebenfalls wütenden, international arbeitenden Organisationen und von internationalen Anwälten Unterstützung und klagten.
Wikipedia: "Anfang Januar 2017 reichten Vertreter der Ovaherero und Nama in New York eine Sammelklage gegen die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie fordern Entschädigungszahlungen von der Bundesregierung. Außerdem verlangen Ovaherero Paramount Chief Vekuii Rukoro und Nama Gaob Johannes Isaack, dass die rechtmäßigen Vertreter der Ovaherero und Nama Völker an Verhandlungen mit der Bundesregierung einbezogen werden."

Nach jahrzehntelangem Ignorieren und Negieren und inzwischen immer neuen juristischen Tricks wird die Wut auf Deutschland und der Druck der Herero auch auf die Regierung in Namibia immer gewaltiger. Nun schließt sich auch das offizielle Namibia den Reparationsforderungen und damit der Sammelklage in New York an. 






Vor Jahren wurden Reparationen in Höhe von 2 Milliarden US-Dollar gefordert. Inzwischen stiegen die Forderungen auf 30 Milliarden US-Dollar. 
Andere ehemalige Kolonialmächte befürchten Ähnliches und blickten zuerst hoffnungsvoll auf einen möglichen Prozess-Sieger Deutschland. 
„Jetzt steht Deutschland durch die Klage international am Pranger. Für Deutschland ist die Klage ein Desaster…Das hätte man verhindern müssen und mit mehr Entgegenkommen wohl auch verhindern können.“ (aus einem SPIEGEL-Interview mit Prof. Jürgen Zimmerer, 50, Geschichtsprofessor an der Universität Hamburg, Präsident des Weltverbands der Genozidforschenden)

SPIEGEL-Interview mit Zimmerer

Volkermord an Herero und Nama

Als ich mit meinem Interesse an diesem verdrängten Genozid durch mein Heimatland begann, fand ich zu diesem Thema relativ wenige Eintragungen bei google. Heute ist es das Tausendfache. Durch die Haltung Deutschlands ist nicht nur die Wut der Afrikaner größer geworden, sondern auch das weltweite Interesse an der Klage. Es werden in New Yorck keine Laien sein, die da klagen und urteilen. Man kann bei den Freunden und jahrzehntelangen Unterstützer der Herero und Nama eine Häme und Schadenfreude verstehen.

Nachsatz mit einem Nachdenken über Rassismus unserer Generation:
Noch kurz vor dem 1. Welt-Krieg erschien ein Bestseller des populären Autors Gustav Frenssen, "Peter Moors Fahrt nach Südwest".
Darin heißt es über den Hereroaufstand: "Die Schwarzen haben vor Gott und Menschen den Tod verdient, nicht weil sie gegen uns aufgestanden sind, sondern weil sie keine Häuser gebaut und keine Brunnen gegraben haben. Gott hat uns hier siegen lassen, weil wir die Edleren sind. Den Tüchtigeren, den Frischeren gehört die Welt. Das ist Gottes Gerechtigkeit."
Noch berühmter als Frenssen war die Jugendbuchautorin Henny Koch. Sie schrieb 1910 "Die Vollrads in Südwest" als "Erzählung für junge Mädchen": Die halbwüchsige Heldin erlebt den Untergang der Herero und fragt unter Tränen ihren Vater: "Hatten wir dazu ein Recht?". Die Antwort: "Das Recht, das schon gilt, solange die Welt steht, und erst mit ihr vergehen wird: das Recht des Tüchtigeren.“ Exakt diese Haltung ist heute politisch korrekt.



Manfred Spies, 19. November 2018
Tag der offiziellen Abberufung von Generalleutnant Lothar von Trotha vor genau 113 Jahren

Meine lange Arbeit an diesem Beitrag widme ich den Organisationen, die sich für bedrohte Völker einsetzen und allen, die sich immer noch bei starkem Gegenwind für Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Freiheit engagieren.

Plakat M. Spies, 1979 in Düsseldorf

Plakat M. Spies, 1979 in Düsseldorf


wie recht hat er behalten





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