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Roger Willemsen

Roger Willlemsen  starb heute vor zwei Jahren im Alter von nur 60 Jahren. Sehr selten in meinem Leben hat mich ein Lebender so bereichert und begeistert und ein Toter so erschüttert und der Verlust so lange beschäftigt. 
Und das ging ganz sicher nicht nur mir so. Man muss sich nur im Internet ansehen die unglaubliche Vielzahl von Nachrufen in den Medien und von wichtigen Privatpersonen.

Roger Willemsen, Foto Wikipdia


Meine erste Begegnung mit Roger Willemsen. war 1992 ein Buch über Erotik in der Weltliteratur. Den Titel „Das Tier mit den zwei Rücken“ entnahm er einem Shakespeare-Text, der auch heute im Englischen den Vollzug körperlicher Vereinigung beschreibt: „To make the beast with the two backs.“

Er schrieb dort nicht selbst und über nicht über sich selbst- wie man später nach der optischen und akustischen Verabreichung seiner Delikatessen über Liebe und Leben hätte annehmen können - sondern fungierte als Sammler und Herausgeber und verfasste das Vorwort.
In diesem 21 Seiten langen Vorwort liest man ein wortstarkes Plädoyer eines unglaublich belesenen Mannes, der keinen Zweifel lässt an der Ablehnung von Zensur mund belegt das historisch literarisch:

Mirabeau, "Lauras Erziehung", 1777-1781
"Zieht euch zurück, ihr eifernden Zensoren,
schließt Frömmer, Moralisten, Narren eure Ohren!
Nicht sollt ihr eifernden Megären mit uns rechten,
hinweg mit euch, ihr Stolzen, Selbstgerechten!
Denn dieser Blätter süße Herrlichkeit
ist nie und nimmer euch geweiht."

Er hält Zensur aber gleichzeitig für eine Befeuerung erotischer Kunst und Literatur und belegt auch das an viele Beispielen.
DAS hat mich interessiert, der ich mich seit der Freigabe von Pornografie in Dänemark 1968 auch bis heute kreativ mit diesem Thema beschäftige.

Angetan von dieser 416 Seiten umfassenden Anthologie (1) betrachtete ich später gern ab 1994 seine ZDF-Sendung „Willemsens Woche“, von der es nur wenige Youtube-Aufzeichnung gibt. In meiner DVD-Sammlung habe ich zum Glück viele dieser phänomenalen Interviews, z.B. mit Isabella Rossellini, bei dem es zwischen den beiden Gesprächspartnern knisterte. 
Wie liebevoll und empathisch er zwischendurch seinen Freund Michel Petrucciani Jazz am Piano spielen ließ, zeichnete Roger Wilhelmine als Mensch aus.




Kurz vor seinem Tod gab der Bonner Moderator und Autor der „Katholischen Nachrichten-Agentur“ (KNA) sein letztes Interview.

Wollten Sie die Welt ein bisschen besser machen?

Willemsen: „Ja! Und zum Teil mache ich das aus meinem Bedürfnis heraus, wenigstens zu einem Teil für andere Leute zu leben. Ich glaube, jedes Leben wird dadurch besser, dass man es auch für andere lebt. Und wenn man so privilegiert lebt wie ich und eine Öffentlichkeit finden kann und dazu noch im Bereich der Kommunikation arbeitet, also schreibt, dann sollte man um Himmels Willen irgendwas tun, das anderen hilft. Das ist eine Pflicht.“

Ob es anderen hilft, wenn ich hier einen Youtube-Clip mit ihm  veröffentliche, weiss ich nicht. Der Filmausschnitt ist ein Beispiel dafür, dass Äusserungen sogar eines deutschen Intellektuellen in einer Sprache auf höchstem Niveau unglaublich komisch sein können und sogar sehr jungen Zuschauer Lachtränen in die Augen treiben. Bei Roger Wilhelmine funktionierte es. Ob es hier im Blog und auf Facebook klappt, weiss ich nicht.

Willkommen Österreich




Man hat Roger Willemsen nicht nur enormes Wissen und ein brillantes Formulierungsvermögen attestiert, sondern auch eine tiefe Menschlichkeit und Empathie. Das stimmt, wenn man berücksichtigt, dass in Zeiten der freien Kommentierbarkeit in sozialen Netzwerken und allen öffentlichen Medien, die inzwischen überall online-Foren geöffnet haben, fast keine kritische Kommentare über ihn existieren. Es arbeiten sich keine Selbstdarstellungs-Idioten an ihm ab in einem Facebook, was ja die hygienischste Art der Onanie ist. Wenn dem so ist, dann muss da etwas an ihm gewesen sein, was den Intellektuellen Roger Willemsen auszeichnete. Denn normalerweise sind ja Intellektuelle seit den 70er-Jahren Hassfiguren und Anlass für Ausgrenzung, seit sie von  Ernst Hilbig im Düsseldorfer Ko(m)mödchen als „Intellelle“ lächerlich gemacht wurden.

Roger Wilhelmine hat nicht nur über 3000 Persönlichkeiten interviewt und in seinen Sendungen vorgestellt, er hat nicht nur über 35 Bücher veröffentlicht, sondern sich auch von Anfang an sozial engagiert. Er war immer der Wahrheit auf der Spur. Das tat er aber in einer so klugen und menschlichen Art, dass er sich damit keine persönlichen Gegner machte. Wie ihn Kollegen sahen, zeigen Aussagen z.B. von dem Publizisten Manfred Bissiger:
„Seine emotionale Intelligenz, seine einmalige Präsenz haben mich, haben uns immer wieder beflügelt und angetrieben. Er galt schon früh als weiser Mann… er war ein überaus warmherziger Mensch, ein Homo intellectus, der uns alle mit seiner bedingungslosen - im Sinne von völlig voraussetzungsloser - Liebe beschenkte.“ 

Roger Willemsen für Care in Afghanistan, 2006, zeitgleich Mitgründer des Afghanischen Frauenvereins, nach seinem Tod ist sein Nachfolger Freund Herbert Grönemeyer

Roger Willemsen für seine einen Projekte (später Stiftung) in Afghanistan, 2013

Roger Willemsen für seine einen Projekte (später Stiftung) in Afghanistan


Als ein Intellektueller mit einer hohen emotionalen Intelligenz blieb er daher bis heute eine „Ausnahmeerscheinung unseres Kulturlebens“.

Wir sollten die Erinnerung an Roger Willemsen wach halten und versuchen, ein bisschen so zu sein wie er.

Manfred Spies, 7.Februar 2019




(1) Anthologie "Das Tier mit den zwei Rücken", gebraucht z.T. ab 1,28 plus Porto


weitere Links:
Wikipedia über Roger Willemsen: 

Willemsen über Afghanistan


Willemsen über TV und Ranitzki

Süddeutschen Buchbesprechung „Knacks;

Buchbesprechung Bangkok noir







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