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Mein Freund ist Türke

Auch wegen einiger aktueller Vorkommnisse möchte ich ein wenig zurück blicken auf meine Erfahrungen mit Freunden und Bekannten aus der Türkei und Fragen stellen.
Teil 1:


„Die Scheiss-Türken machen uns unser Werk kaputt!“

Als einige türkische Arbeiter bei Ford in Köln wenige Tage zu spät aus ihrem Urlaub zurückkamen, wurden sie fristlos entlassen. Die Türken gaben wichtige Familienfeiern am Urlaubsende und Unfälle und Staus auf dem Autoput als Begründungen an. 
Türkische und auch viele deutsche Kollegen solidarisierten sich. Es wurde spontan gestreikt und die Weiterbeschäftigung der Türken gefordert.

Da setzte die Gewerkschaft den Betriebsrat unter Druck. Streik sei Sache der Gewerrrrkschaft, ein wilder Streik sei inakzeptabel und gefährrrde den sozialen Frrrieden. Das sahen die deutschen Arbeiter ein, streikten plötzlich nicht mehr mit ihren Kollegen, sondern verprügelten sie und erklärten vor den Mikrophonen der Medien: 

„Die Scheiss-Türken wollen uns unser Werk kaputt machen.“ (Zitat aus RP und WDR2)

Als wenn bei Ford bereits Eigentum an den Produktionsmitteln eingeführt worden wär ́!

Ich wollte zeigen, wer sich in dieser Situation beschissen verhält. Den Ausdruck „Scheiss-Türken“ unterlegte ich in den jeweiligen Landesfarben. Natürlich war ich mir darüber im Klaren, dass diese doppelbödige, bildhafte Stellungsnahme für die Allgemeinheit und vor allem für die in Sprache und Satire nicht so bewanderten Türken zu anspruchsvoll war. Also druckte ich im März 1976 eine Siebdruck-Auflage von nur 100 Exemplaren und verschickte nur 32 Drucke mit einem erklärenden Brief an Journalisten, Politiker, Gewerkschafter und einige Künstler. 





Stimmung gegen Ausländer wurde auch von Politikern und einigen Wissenschaftlern gemacht, die Ausländern eine gewisse Minderwertigkeit attestierten (Eibel-Eibelsfeld).
In einem Interview erklärte ich: “Nach meiner Meinung geht es nicht singulär nur um die Türken. Heute ersetzen die „Scheiss-Türken“ in der Hassskala die „Scheiss-Itaker“. Diese wiederum ersetzten vor 15 Jahren die „Scheiss-Juden“. Ich wollte mit meinem provozierenden Siebdruck Anfängen wehren, wie es eigentlich jeder Demokrat tun sollte. Aber leider wird überall geschwiegen.“ 


Am 19.3.1976 erschienen zwei Beamte der politischen Kriminalpolizei (K 14) mit einer der von mir verschicken Rollen und fragten mich, ob ich der Urheber des Inhalts sei. Danach beschlagnahmten sie auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Düsseldorf die restliche Auflage.
Als sie eine Auskunft über den Veranlasser der Anzeige ablehnten, entriss ich dem Beamten die Rolle und las die Adresse. Ich hatte sie an den Bundesvorsitzenden des Deutschen Gewerk- schaftsbundes, Heinz Oskar Vetter geschrieben, der auch Präsident des Europäischen Gewerk- schaftsbundes war. Nun weiss man zwar, dass Herr Vetter sehr gern und sehr viel Vodka trank. Dass aber der Genuss dieses in bestimmten SPD-Kreisen sehr beliebten Getränkes nicht nur die Wahrnehmung trübt, sondern zum totalen Verständnisverlust von Satire und Ironie führt, war mir neu.






Der Staatsanwalt ermittelte zuerst gegen mich wegen des Verdachts der „Volksverhetzung.“ Eine klare Sicht auf reale Dinge und die Interpretation des Gesehenen waren offenbar nicht seine Stärken.
So entnahm er der Presse, wie und warum ich die Nationalfarben Deutschlands und der Türkei eingesetzt hatte. Flugs formuliere er seine Ermittlungsbegründungen um. Jetzt wurde ich beschuldigt, die deutschen Farben verunglimpft zu haben. 



Am 25.5.1976 entschieden die drei Richter am Düsseldorfer Landgericht: „...Weder ist in dem Plakat eine Verunglimpfung der Farben der Bundesrepublik Deutschland zu sehen (§ 90a, I, Nr.2 StGB) noch eine Volksverhetzung im Sinne des § 130 StGB...Auf die Meinung des Vorsitzenden des DGB, der im übrigen - wie auch alle anderen Adressaten - mit dem Plakat ein Begleitschreiben erhielt, in dem eindeutig Sinn und Zweck des Plakates zum Ausdruck kam, kommt es nicht an.“ Eine weitergehende Wertung bezüglich der Wahrnehmungsfähigkeit des DGB-Vorsitzenden nahmen die Richter nicht vor.


In den folgenden Jahren beobachtete ich eine immer deutlichere Zunahme von Aggressionen gegen türkische Arbeitnehmer in der BRD. Vielleicht weil ich mit meinem ersten kritischen Plakat auf so viel Unverständnis gestoßen war, vielleicht auch einfach aus einem menschlichen Bedürfnis wollte ich den türkischen Mitbürgern ein kleines Signal geben. Ein positives Signal, das alle verstehen. Auf 18 Plakatwänden, die vor allem in den Wohnbereichen der Ausländer standen, plakatierte ich 1979 in deutscher und in türkischer Sprache den Satz: „Mein Freund ist Türke.“ 
Diese Plakatwände erhielt ich von dem Inhaber des "Anschlag"-Unternehmens (hahaha) Herrn Assenmacher, kostenlos zur Verfügung gestellt. Er hatte seit Jahren mein öffentliches Plakatieren für Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Frieden, Toleranz usw. mit Respekt beobachtet. Ich habe ihn dankbar in Erinnerung!






Das Plakat wurde auch von den Türken verstanden, die wenig oder gar nicht Deutsch lesen konnten. Es gab offenbar eine große Freude unter den Türken. Viele riefen mich an und dachten, ich spreche türkisch. Sie plapperten aufgeregt in ihrer Sprache und wollten sich bedanken. Ein Düsseldorfer Buchhändler war so begeistert, dass er von meinem Slogan - allerdings nur in der deutschen Version - 20.000 Aufkleber drucken ließ.
Diese Aktion hatte auch in den Medien eine erfreuliche Resonanz. Alle großen Zeitungen in der Türkei druckten ein Bild des Plakats. Noch viele Jahre später benutzen deutsche Zeitungen und Nachrichtenmagazine das Foto des Plakats, wenn sie einen Artikel zur Integration, zur Einwanderung von Türken oder zur Ausländerfeindschaft illustrieren wollten. 

Schuldzuweisungen
Laut einer Umfrage des SPIEGEL glaubte 1976 jeder zweite Deutsche, die hohe Ausländerzahl sei verantwortlich für die schwierige Beschäftigungslage. Das Gegenteil war der Fall. Die Ausländer wurden z.T. mit Arbeiten beschäftigt, die kein Deutscher machen wollte. 


Ich plakatierte provozierend "Die Ausländer nehmen uns die Arbeit weg". Um einen Denk- und Diskussionsprozess in Gang zu setzen, schrieb ich das Wort „Dreck“ handschriftlich, als wenn es eine Reaktion wär ́. So wurde es dann auch wahrgenommen. Die politische Kriminalpolizei kam wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Und Betriebsräte benachbarter Firmen riefen empört bei mir an. Es war ihnen nicht klar zu machen, dass einzig und alleine ich für alle Texte auf dem Plakat verantwortlich war.
Ja, wie man bei Herrn Heinz-Oskar Vetter gesehen hatte: Denken ist nicht ganz einfach.

Manfred Spies
6.11.2019
(wird mit weiteren 4 Kapiteln fortgesetzt)



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