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"Die Juden haben es hinter sich"

Anfang der 80er-Jahre erzählten sich die Deutschen "Witze" über die von ihnen am meisten abgelehnte Ausländergruppe. Es waren die „Türkenwitze“. 
War das zu vergleichen mit den Witzen der Nazis über die Juden? Nein und Ja.

1. Nein, weil ein solcher Vergleich beschönigend ist, weil die damaligen "Witze" über die Juden geradezu harmlos waren gegenüber den aktuellen „Türken-Witzen.“ In den Büchern aus den 30er-Jahren werden die Juden schlecht gemacht, gedemütigt und verachtet, aber (noch) nicht umgebracht. Als Beispiel mögen die Texte und Bilder weiter unten dienen, die dem Kinderbuch „Trau keinem Fuchs auf grüner Weid´und keinem Jud bei seinem Eid“ entnommen sind.

2. Ja, weil in den „Türken-Witzen“ dauernd Vergleiche mit den Juden gemacht werden. Aber die Brutalität ist anders:
- Unterschied zwischen Juden und Türken? Die Juden haben es hinter sich.
-  Springen ein Jude und ein Türke vom Hochhaus. Wer fällt schneller. 
   Der Türke: Scheisse ist schwerer als Gas.
- Treffen sich ein Jude und ein Türke in der Hölle. Fragt der Türke.
  “Wieso bist du so schwarz?“ Sagt der Jude: „Ich bin doppelt gegrillt.“
- Wie bekommt man 6 Türken in ein Gogomobil? Einer am Steuer, 5 im Aschenbecher.
- Unterschied zwischen Türken und druchgezogenen, weissen Linien auf den Strassen?
   Die Linien dürfen nicht überfahren werden.
- Unterschied zwischen Unglück und Katastrophe?
  Wenn auf dem Bosporus eine Fähre mit 200 Türken sinkt = Unglück.
  Wenn die Türken schwimmen können = Katastrophe.

Ich habe nicht für möglich gehalten, dass in Deutschland Millionen solche Ungeheuerlichkeiten erfinden und jolend weiter erzählen, auch ihren Kindern. 
Aus einer Düsseldorfer Schule erhielt ich 48 handgeschriebene "Witz"-Exemplare von Schülern, die eine Lehrerin gesammelt hatte.




Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch. (B. Brecht)

Auf Einladung einer Galerie plakatierte ich in Kassel zwischen Juni und September anlässlich der documenta 7 auf dem Freigelände. 
Mein Thema: Rassismus und Ausländerhass in Deutschland.



Am 15.April 1982 hatte ich den als Künstlerkneipe und Restaurant konzipierten TANNENBAUM in Düsseldorf eröffnet. In der Galerie im TANNENBAUM zeigte ich im September 1982 die Austellung „Der Schoß ist fruchtbar.“ 
Es wurden die von SchülerInnen-Hand geschriebenen „Türken-Witze“ den Seiten aus dem Nazi-Kinderbuch (s.o.) „Trau keinem Fuchs...“ gegenüber gestellt. 
Die Ausstellung wurde eröffnet vom Direktor des Stadtmuseums Düsseldorf, Herrn Dr. Wieland Koenig.

https://de.wikipedia.org/wiki/Elvira_Bauer
>google >trau keinem jud auf grüner heid




Jud bleibt Jud“ beschreibt den Juden Itzig, der sich aus taktischen Gründen taufen ließ. Der Pfarrer erwischt ihn, als er gegen die Ermahnungen und chistlichen Regeln verstößt und freitags Fleisch isst.
Der Jude - hier als Metzger - wird eklig und schmutzig dargestellt. Auch hierzu gibt es in den „Türken-Witzen“ etliche Parallelen

Ich habe die komplette Ausstellung den Schulen, den Kirchen, den Gewerkschaften, den Parteien und diversen Organisationen kostenlos angeboten. Keine Antwort.

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Es gab ein Klima in Deutschland, das gegenüber Ausländern - gemeint war allgemein die größte Gruppe, die Türken - zunehmend von Ablehnung, Ausgrenzung bis zu Hass geprägt war. Von Anfang der 80er-Jahre bis zu den Morden und Brandanschlägen in Solingen und Mölln in den 90er-Jahren beteiligten sich Politiker an dieser Ausgrenzungspolitik. Auch Wissenschaftler schürten Überfremdungsängste. Die Medien griffen begierig zu.


1980 und folgende
- die Verschärfung der Auseinandersetzung um Einwanderung, vor allem um Asylbewerber so wie die Gewalt gegen Ausländer nehmen dramatisch zu.

- NPD-Kampagne: „Ausländer Stopp !“, DVU verzeichnet Zulauf.


- Mit dem Heidelberger Manifest vom 17. Juni 1981 wollten deutsche Hochschulprofessoren vor der „Unterwanderung des deutschen Volkes“ und der „Überfremdung“ der deutschen Sprache, der Kultur und des „Volkstums“ warnen. Erstmals nach 1945 erhielten Rassismus und Fremdenfeindlichkeit öffentlich eine, wenn auch umstrittene Legitimation durch Wissenschaftler. 


- Bundeskanzler Helmut Schmidt „Es war ein Fehler so viele Ausländer ins Land zu holen“ Asylantenflut“ ist übereinstimmendes Thema bei Regierung, Parteien, Medien, Strasse bis in das Bildungsbürgertum.

- Kohl im Wahlkampf 1982: „2 Mio. Arbeitslose weniger, wenn die Hälfte der Ausländer das Land verlässt“

- Die zunehmende Einwanderung von Asylbewerbern brachte die Wiederkehr der Lager.
1982 wurde im Bundestag die Lagerunterbringung und das Arbeitsverbot praktisch ohne Gegenstimmen beschlossen.


Politiker wie Koch und Stücklen waren selbst Brandstifter.

Wenn man sich diese Entwicklung vor Augen führt, wenn sich überlegt, wie man sich selbt fühlen würde, wenn über einen mörderische "Witze" gemacht werden, wenn man sich abgelenht fühlt, wenn man in vielen Bereichen benachteiligt wird (Italiener, Spanier usw, hatten längst Wahlrecht, den Türken wurde es verweigert!!!), wenn man seine eigene Identität zu verlieren meint, was ist die Folge?

Richtig, man schließt sich zusammen. Man bildet Gegnerschaften. Man sucht etwas Verbindendes und findet es - im Islam. Man grenzt sich jetzt selbst bewusst ab! 
Und heute sind diese vollkommen bescheuerten Politiker erstaunt über genau diese bewusste Abgrenzung einer Ethnie, die sie vorher selbst ausgegrenzt haben. Aber jetzt ist das Kind um Brunnen.

Als sich Muslime zu radikalisieren begannen, waren die Politiker, aber auch Sozialromantiker in der Bevölkerung immer noch nicht zu einer Unterscheidung zwischen Moslems und Islamisten bereit. Ein Großplakat, auf dem ich diese Frage öffentlich stellte, wurde zensiert und weitere Veröffentlichungen verboten.


Aber man war nicht nur auf diesem Auge blind. Selbst nach Hoyerswerda, Hünxe, Rostock, Mölln und Solingen beschäftigte man sich mit den Taten der rechten Szene, aber nicht mit der Szene. Man lamentierte, aber fragte nicht eindringlich nach den Ursachen. 

Es gab genug Warner, die sich aber wie Rufer in der Wüste vorkamen:

„Die Verdrängung der Vergangenheit in Deutschland führt dazu, dass man die neuen Progrome nicht versteht, dass man sie bagatellisiert und irgendwie abtut, statt sie sofort als das zu erkennen, was sie sind: mögliche erste Symptome eines Rückfalls. Und wie der Krebs ist diese Krankheit gefährlicher, je später sie erkannt wird.“ (Uri Avnery, SPIEGEL 49/1992)


Viel hübscher und angenehmer ist es, die Ausländerfeindlichkeit für sich selbst zu instrumentalisieren und Demonstrationen, Lichterketten und witzige Trillerpfeifen-Konzerte auf der Königsallee, der Prachtmeile Düsseldorf, werbewirksam zu organisieren. Das poliert das Image. 
Man könnte so etwas natürlich in der Nachbarschaft der Betroffenen machen, auf der Kölner oder der Erkrather Strasse. Aber dort lassen sich Kerzlein-halten und auf-dem-Pfeiflein-gegen-Rechts-trillern nicht so schön mit Shoppen verbinden. So ist Düsseldorf


Der bekannte „Werbepapst“ Michael Schirner kreierte ein Großplakat mit einem attraktiven, Schwarzen mit nacktem Oberkörper und einem Kettchen um den muskulösen Hals, den Schirner in der Headline als „Ein schöner Schwiegersohn“ offerierte. 

Das war rassistisch. Bei der Vorführung einer niedlichen, halbnackten Thaifrau als „schöne Schwiegertochter“ würde wohl jedem Betrachter klar, worum es hier geht: Das Klischee der „anpassungsfähigen Asiatin mit Mandelaugen“ wird ebenso ausgebeutet, wie der Mythos von „geschmeidiger Potenz unter ebenholzfarbener Haut.“
Wieso fiel Schirner nicht ein Ausländer im Anzug als „netter Chef“ oder „freundlicher Nachbar“ ein? 

Wie kann man nur so bescheuert sein, eine solche Argumentation als ausländerfreundlich zu bezeichnen.

Da waren manche Arbeiten, die Laien mit klarem Verstand und Wortwitz schufen, wesentlich analytischer, entlarvender und dabei auch noch unterhaltsam?

     
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Was sagten meine ausländischen, meine türkischen Freundinnen und Freunde?
Sollten sie dieses Land, das inzwischen ihre Heimat war, verlassen? Sollten die Kurden in die Türkei gehen, wo sie nicht mit offenen Armen, sondern mit Gewehren in den Händen empfangen würden? 

Ich konnte das Land der Dichter und Denker verlassen, das in meinen Augen zu einem Land von Deppen und Dödeln verkam. Ich tat es dann auch. 
Heute betrachte ich alles immer noch traurig, aber mit Abstand. Dazu mehr in den folgenden Beiträgen.

Manfred Spies

7.11.2019

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