„Warum?“ (short story)
16. November 2019
Er liegt im Gras neben seiner Frau. und auf einmal ist alles wieder da. In einer anderen Zeit, in einem anderen Land, unter der gleichen Sonne.
Die Schreie der Tochter hinter dem Zaun im Wald, in einem anderen Wald. Sie stürzten raus, riefen, brüllten und fanden sie. Den Kopf leicht zur Seite geneigt, die Arme ausgestreckt, die Beine seltsam abgeknickt.
Ein Mann rannte durch den Wald und stolperte über Baumwurzeln. Keuchend war er hinter ihm und packte den Aufstehenden an den Füßen. Danach war das Knacken von gebrochenen Fingern zu hören. Der Schreiende erhielt einen Schlag auf die Halsseite und war bewusstlos. Danach traf ihn die Handkante auf den Adamsapfel und er war tot.
Der Vater beisst sich noch heute auf die Lippen, wenn er daran denkt, warum er den Mann nicht an einen Baum gebunden und ihm nach und nach die Glieder abgeschnitten hat. Warum er nicht unter dem Geschrei des gequälten Vergewaltigers sein abgetrenntes Geschlecht ihm in den Rachen gestopft hat.
Die Worte des Richters hat er nicht gehört, es hat ihn nichts interessiert als seine Wut, die ohnmächtig Geschehenes nicht rückgängig machen konnte. Er spürte diesen Krater, in dem Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges versanken und die Worte im Gericht wie Geierrufe verhallten.
Die Erinnerungen werden lebendig, wenn er ein Kind sieht, wenn er Klavierunterricht gibt, wenn er wie sie einen Hund oder eine Katze liebkost, wenn er Ballspiele beobachtet oder wenn er Honig isst.
Seine Tochter ist tot, der Mann ist tot, aber alles in ihm ist lebendig und fragt: Warum?
Manfred Spies
16. November 2019
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