Francesco
Die benzinbetriebene Fortbewegung wird auf Cayo Largo von japanischen Marken beherrscht. Busse haben je nach Funktion und Fahrtziel weder Dach noch Fenster. In einem solchen Gefährt werden wir vom Fahrer Francesco zur Playa Paraiso geschaukelt, einem langen Sandstrand im Norden der Insel, weit weg vom Hotel- und Wohnbereich.
Francesco ist Weißer, nicht sehr groß, aber kräftig und schlank. Sein wettergebräuntes, glattes Gesicht wird dominiert von einer langen, geraden Nase, die deutlich in einen dichten, schwarzen,
fast rechteckig geschnittenen Schnurrbart hineinwächst. Dieser Bart und die kleinen, blitzenden Augen geben seinem Gesicht etwas Komödiantisches. Den am Straßenrand Wartenden ruft er beim Heranfahren zu: "Haiiti, Miami, New York, Tokio..."
Nachdem Francesco alle Fahrgäste vor den Hoteltüren und an den Straßenrändern aufgelesen hat, ist der Bus rappelvoll. Ich habe einen Platz direkt hinter dem Fahrer, rechts von mir unterhalten sich drei Kids aus Hessen. Auf der jetzt geraden und gut asphaltierten Straße gibt Francesco nicht latinomäßig Vollgas, sondern läßt seinen Bus langsam rollen und streichelt einen Fellschwanz, der an der Windschutzscheibe hängt. Über die Lautsprecher ist das Miauen einer Katze zu hören. Die Kids werden aufmerksam. Francesco bedeutet ihnen, den Schwanz zu streicheln. Wieder ertönt das laute, klagende Miauen. Im Rückspiegel kann ich sehen, daß Francesco grinst, aber nicht die Lippen bewegt. Auch die Kids lachen jetzt.
Francesco gibt ihnen zwei auf der Ablage deponierte Rasseln und klatscht rhythmisch in die Hände. Die Kids bewegen die Rasseln, aber es ist nichts zu hören. Da schreit Francesco "No, no", nimmt ihnen die Rasseln weg und bewegt sie über seinem Kopf. Jeder hört über die Lautsprecher das rhythmische Geräusch. Francesco rasselt und ruft "Holla", da wiehert ein Pferd. Beim nächsten Kommando hören wir Hühner und einen Hahn, dann wieder die Katze, danach ein grunzendes Schwein und einen jaulenden Hund, zum Schluß einen lauten Furz. Der Fahrer formt die Geräusche wie ein Bauchredner, ohne daß man Bewegungen seines Mundes erkennen kann. Francesco läßt das Steuer los, dreht sich im Sitz um und reißt die Arme hoch: "Zoològico!"
Nach dieser ersten Abteilung seiner Bus-Show bittet er mich, ihm aus der Gepäckablage die Gitarre zu reichen. Vom Publikum ist ein Aufstöhnen zu hören. Francesco reicht den Jugendlichen die Rasseln, die nicht rasseln, klemmt die Knie ans Steuer, spielt und singt. Mit dem Kopf gibt er den Kids ein Zeichen, ihn rhythmisch zu zu unterstützen. Sie bewegen gehorsam die tonlosen Hohlkörper und Francesco zischt zwischen seine Worte den Rasselrhythmus, bearbeitet zupfend und klopfend seine Gitarre, weicht mit der Kniesteuerung einem Schlagloch aus und singt und singt und singt. Alle Businsassen, auch jene, die den Text nicht verstehen, hätten bei sofortigem Verzicht auf das steuerfreie Absingen weiterer Strophen dieses Freiheitsliedes seiner revolutionären Aussage begeistert zugestimmt.
Nach der genußvollen Entgegennahme von umständehalber sitting abgegebenen Ovations steuerte uns Francesco - wahrscheinlich mit Rücksicht auf die nicht geringe Zahl von mitreisenden Rentnern - weniger kreislauffördernd aber kurvenreich durch das von Palmen, Kiefern und Sträuchern bewachsene Küstengebiet zu unserem Strand...
(Manfredv Spies: Aus „Rumvoll in Kuba“, 5 private Geschichten einer Insel-Liebe)
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